Digitale Jugendräume gestalten
Verändertes Freizeitverhalten von Kindern und Jugendlichen stellt Gemeinden vor neue Herausforderungen. Wie geht Jugendarbeit in einer digitalisierten Lebenswelt? Und was tun gegen Landflucht von Jugendlichen? Rahel Heeg und Martin Leuenberger über Chancen für die Offene Kinder- und Jugendarbeit und die Rolle der Wohngemeinden.
Wie hat sich das Freizeitverhalten von Jugendlichen verändert?
Heeg: Die Freizeit von Jugendlichen ist stark durch digitale Medien geprägt. Sie nutzen jeden Tag das Handy, das Internet, soziale Netzwerke, Musik und Videos. Insbesondere soziale Netzwerke haben schnell hohe Bedeutung erlangt und durchdringen die Beziehungen von Jugendlichen. Etwa ein Drittel der Jugendlichen spielt regelmässig Videogames (diese Zahl ist über die Jahre konstant). Aber auch nicht-mediale Freizeitaktivitäten sind bedeutsam. Die Top drei Freizeitaktivitäten (mehr als zwei Drittel der Jugendlichen tun dies mehrmals pro Woche): sich mit anderen Jugendlichen treffen, sich ausruhen und nichts tun, Sport treiben. Sich mit Kolleg:innen zu treffen ist in den letzten 14 Jahren weniger wichtig geworden. Zugenommen hat der Stellenwert für sich ausruhen und nichts tun.
Leuenberger: Der digitale Raum nimmt immer mehr «Raum» ein. Noch vor 10 Jahren fragten wir in Bedürfnisabklärungen nach dem Zugang zum Internet. Damals hatten «nur» rund 80% einen ständigen Zugang zum Internet, und dies mehrheitlich über PC-Geräte. Heute haben fast alle einen ständigen Zugang zur digitalen Welt mittels Smartphones. Trafen sich junge Menschen früher an Treffpunkten im öffentlichen Raum, passiert das heute vermehrt digital über Social Media. Also der digitale Raum hat in der Entwicklung von Jugendlichen einen wichtigen Platz eingenommen.
Heeg: Damit die Offene Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) für Kinder und Jugendliche relevant bleibt, muss sie die digitalisierten Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen anerkennen und einbeziehen. Ich will in meiner Antwort die Chancen betonen. Digitale Medien eröffnen der OKJA erstens auf einer organisatorischen Ebene neue Möglichkeiten für die Beziehungspflege, Alltagsgestaltung und Projektdurchführung. Digitale Medien führen zweitens zu neuen Bildungsgelegenheiten und -räumen. Die OKJA kann digitale Themen aufgreifen und/oder mit gestalterischem Medieneinsatz den Kindern und Jugendlichen Möglichkeiten bieten, sich mit ihrer Lebenswelt auseinanderzusetzen und sich diese anzueignen, und sie kann mit digitalen Medien partizipatorische Kulturen (mit)schaffen. Gleichzeitig bleibt es wichtig, dass die OKJA physische Räume hat, wo sich Kinder und Jugendliche treffen und nicht-digitale Erfahrungen machen können.
Wie kann kommunale Kinder- und Jugendpolitik dazu beitragen, dass junge Menschen gesund aufwachsen?
Heeg: Gemeinden sind der Lebensort von Kindern und Jugendlichen und sind (mit)verantwortlich für Schutz, Förderung und Partizipation. Gemeinden haben einen grossen Einfluss auf die Aufwachsbedingungen von Kindern und Jugendlichen. Gemeinden mit einer aktiven Kinder- und Jugendpolitik kennen den IST-Zustand (Bedürfnisse von Kindern, Jugendlichen und Familien und vorhandene Angebote), und sie haben Massnahmen definiert, wie sie den SOLL-Zustand erreichen wollen.
Was bedeutet «Landflucht» im Kontext von Kinder- und Jugendarbeit?
Leuenberger: Die Landflucht oder die Orientierung junger Menschen auf urbane Gebiete stellt für ländliche Gemeinden eine Herausforderung dar. Die OKJA setzt dort an, wo sie am meisten Wirkung erzielen kann, um diesem Phänomen entgegenzuwirken. Neben den fehlenden Berufs- bzw. Ausbildungsmöglichkeiten wird von vielen Jugendlichen das fehlende kulturelle Angebot als Hauptgrund genannt. Hier setzt die OKJA an. Förderung der Jugendkultur und Miteinbezug (Partizipation) sind zwei Ansätze, mit denen wir versuchen, der Abwanderung entgegenzuwirken.
Was kann die offene Kinder- und Jugendarbeit tun, um Identität mit der Wohngemeinde und dem Umfeld zu stärken?
Leuenberger: Wie oben erwähnt, führen hauptsächlich zwei Faktoren dazu, dass junge Menschen ihren Wohnort Richtung Ballungszentren verschieben. Neben der Arbeits- und Ausbildungssituation steht die Identität mit der Wohngemeinde im Fokus. Zentral für die OKJA ist dabei die Mitwirkung sowie die Jugendkulturförderung. Die Gemeinden können so früh wie möglich Kinder in politische Prozesse miteinbeziehen. Das heisst: Kinder sollten die Möglichkeit erhalten, ihr Umfeld mitzugestalten. Die OKJA kann Gemeinden unterstützen, Kinder und Jugendliche miteinzubeziehen, wenn es darum geht, Räume (Spielplätze, jugendgerechte Plätze usw.) zu gestalten. Weiter fördert die OKJA die Jugendkultur, z.B. das Schaffen von jugendgerechten kulturellen Angeboten.