Interview mit Bruno Erni
20 Jahre im Berner Gesundheits-Fieber
Bruno Erni gibt seinen Abschied. Just zum 20-jährigen Jubiläum der Berner Gesundheit wird der langjährige Geschäftsführer Bruno Erni pensioniert. Im Interview erzählt er von 20 Jahren Berner Gesundheit, seinen persönlichen Highlights und schwierigen Momenten sowie den Wünschen, die er der Berner Gesundheit-Crew auf den Weg gibt. Ebenso verrät er, mit welcher Haltung er auf das Kommende blickt.
Lieber Bruno, wir sitzen hier für dein Abschiedsinterview. Wie viele Abschiede hast du schon hinter dir?
Drei. Ich habe das Präsidium des Fachverbands Sucht übergeben und bin aus einer Eidgenössischen und einer kantonalen Kommission ausgetreten.
Was bedeuten für dich diese Abschiede?
Ich habe mich gut verabschieden können. Das Präsidium des Fachverband Sucht hatte ich beispielsweise 13 Jahre lang inne. Wir hatten eine sehr gute Zusammenarbeit und das habe ich sehr genossen. Erst am Schluss habe ich realisiert, wieviel Verantwortung da eigentlich zu tragen war und ich fühlte mich leichter, als ich diese abgeben konnte. Aber Abschied bedeutet immer auch liebgewonnene Beziehungen loszulassen, was der schwierigere Teil ist.
Wie erlebst du dein Abschlussjahr hier?
Ich hatte es mir etwas anders vorgestellt. Eigentlich war alles soweit geplant, damit mein Nachfolger möglichst gut einsteigen und ich sanft aussteigen kann. Nun füllt sich meine Agenda wegen aktuellen Themen wie dem Entlastungspaket 2018 bis heute noch mit neuen Terminen und Aufgaben. Ich werde bis zu meinem letzten Tag gefordert.
Was freut dich besonders beim Blick auf die Versorgungslandschaft im Bereich Sucht im Kanton Bern, wie sie sich heute zeigt?
Was mich sehr freut, ist die Klärung und die Zusammenarbeit mit dem medizinisch psychiatrischen Bereich, sprich den Kliniken. Dort geht es auch künftig darum, sich weiterhin in die Hände zu arbeiten, gute Kooperationen zu pflegen und gemeinsam eine gute Versorgung für die Menschen im Kanton Bern anzubieten.
Es freut mich auch, dass die frühere Doppelstruktur legal/illegal in der Suchtberatung im ambulanten Bereich mit Contact geklärt und aufgehoben werden konnte. Das diente der Sache und bildete die Grundlage für die heute sehr gute Zusammenarbeit.
Die Berner Gesundheit wird im März 20 Jahre alt. Du warst vom ersten Moment an dabei.
Die Umsetzung der Fusion startete 1998. Der damalige Stiftungspräsident gelangte damals mit der Frage an mich, ob ich als Delegierter des Stiftungsrats die Geschäftsführung übernehmen würde. Ich sagte für eine Interimslösung zu, da ich eigentlich ganz andere Pläne verfolgte. Ich hatte eben eine Ausbildung zum Atem- und Bewegungstherapeuten abgeschlossen und wollte eigentlich eine Praxis aufbauen. Doch wie man sieht kam alles anders. Das Berner Gesundheitsfieber packte mich und ich entschied mich bei der Berner Gesundheit zu bleiben.
Ein Entscheid für die nächsten fast 20 Jahre?
Um Gottes Willen, das hätte ich nicht erwartet. Ich wusste zwar, dass ich ein treuer Mensch bin und dass ich mich normalerweise für eine Sache eher längerfristig engagiere. Das Schöne an der Berner Gesundheit war, dass sie sich immer weiterentwickelte und die Aufgabe sich somit immer wieder selber erneuert hat.
20 Jahre Berner Gesundheit, was sind deine absoluten Highlights?
Es war von Anfang an klar, dass wir konsequent aus Sicht der Bevölkerung denken müssen. Wir errichteten sehr schnell die vier Zentren mit den lokalen Stützpunkten, um die Dienstleistungen im ganzen Kanton in hoher Qualität anzubieten. Für mich ist es ein Highlight, dass dieses Konzept bis heute funktioniert. Es war nicht einfach, diese Idee durchzubringen. Ich erinnere mich lebhaft daran, wie wir im Herbst 1998 an einer langen Stiftungsratssitzung fast bis zum Umfallen für dieses Anliegen gekämpft haben. Ein kohärentes und qualitativ hochstehendes Dienstleistungsangebot für den ganzen Kanton Bern: Das war unsere Vision.
Dass demnächst auch die Versorgungsstruktur im Berner Jura bereinigt werden kann, ist für mich ein letztes Highlight, das letzte Teilchen in einem grossen Mosaik.
Was hat dieses Mosaik-Bild mit deiner Art zu denken und zu gestalten zu tun?
Ich habe wohl einen Hang dazu, «geistige Flugaufnahmen» zu machen. Ich fliege zwar nicht mit Hängegleiter oder so, aber ich mache gerne geistige Flugaufnahmen. Das hilft, grössere Strukturen zu erkennen und rasch zu sehen, was fehlt und in welche Richtung es gehen könnte.
Was gab es in all den Jahren für schwierige Momente?
Wir mussten gleich zu Beginn eine sehr happige Sparvorgabe des Kantons umsetzen, was nicht ohne strukturell-organisatorischen Umbau möglich war. Das erwähnte Zusammenführen der 25 Fachstellen in vier regionale Zentren zog eine erhebliche Verkleinerung des Kaders nach sich, was für die Betroffenen schwierig war.
Danach mussten wir rasch die Besoldungsordnung überarbeiten, um die zum Teil erheblichen Lohnungleichheiten zu korrigieren. Es gab Leute, die Lohneinbussen hatten und das war hart. Es brauchte viel Standhaftigkeit. Aber wir haben Gehälter auch gegen oben korrigiert und seither verfügen wir über ein Gehaltssystem mit einheitlichen Kriterien, das wir konsequent anwenden. Lohngleichheit gibt es bei der Berner Gesundheit also bereits seit fast 20 Jahren und darauf sind wir sehr stolz.
Was trug und trägt dich in schwierigen Momenten?
Am meisten trägt mich die Zusammenarbeit mit anderen. Schwierige Entscheidungen und Prozesse werden immer von mehreren Leuten getragen. Der Stiftungsrat, die Geschäftsleitung und viele mehr. Ich spüre ein Grundvertrauen ins Grundlegende. Dies hat wohl auch mit meinen Eltern zu tun.
Lass uns einen kleinen Rückblick machen. Erzähl doch etwas von früher: Welche Berufswünsche hattest du?
Alles Mögliche, zum Beispiel Fotograf oder Zoologe. Lehrer wäre ich auch gerne geworden.
Was von all dem warst du nun?
Rückblickend fällt mir vor allem eines auf. Ich hatte nie einen Karriereplan. Ich war ein Gezogener, kein Getriebener. Die Aufgaben sind auf mich zugekommen. Sie haben mich quasi gefunden. Ein junger Praktikant aus dem Wallis beschrieb mich bei seinem Abschied einst so: «Bei uns im Wallis sagt man, es ist nicht der Mensch, der das Amt sucht. Es ist das Amt, das den Menschen sucht». Er hat damit ein Gefühl getroffen bei mir.
Hattest du Vorbilder?
Ja, es waren immer Menschen, denen ich begegnet bin. Auch viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hier.
Von welcher Eigenschaft hättest du gerne mehr?
Gelassenheit. Auch wenn ich mich hier schon etwas verbessert habe.
Von welcher könntest du andern etwas abgeben?
Menschen Vertrauen schenken, sie selbstständig arbeiten lassen. Und Durchhalten, langfristig an etwas dranbleiben, das kann ich wirklich sehr gut.
Woher kommt Dein Engagement im Sozialen?
Es hätte auch einen anderen Weg nehmen können mit mir. Ich habe es mir gar nie so richtig überlegt.
Was hielt dich denn von einem Wechsel ab?
Die Aufgabe, die nie zu Ende ging und immer neue Möglichkeiten eröffnete und das Umfeld, welches stimmte. Es war eine Sinnhaftigkeit da im Kern, welche für mich wichtig ist.
Zurück zu heute Bruno. In einem Monat ist dein letzter Arbeitstag. Was wirst du von hier vermissen?
Ich werde mein Team vermissen und die Berner Gesundheit als Ganzes. Ich fühle mich wohl hier und all dies wird wegfallen. Das wird mir schmerzlich bewusst. Die Menschen, die aufgestellten Leute. Gleichzeitig ist es schön zu wissen, dass es hier trotz all der anstehenden Herausforderungen im Ganzen so gut läuft, dass ich mit gutem Gefühl gehen kann.
Es ist eine schwierige politische Zeit, um Mittel zu bekommen für unsere Arbeit. Mit welchen Argumenten können wir die Gesellschaft und Politik weiter für unsere Arbeit gewinnen?
Die politische Kommunikation ist sehr anspruchsvoll für unser Feld. Sucht wird nach wie vor eher mit Selbstverschulden verknüpft als mit Schicksal. Prävention und Gesundheitsförderung haben es nicht zuletzt deshalb besonders schwer, weil es sich eben um langfristige Investitionen handelt und keine direkten spektakulären Wirkungen «verkauft» werden können.
Unsere Arbeit ist auf Nachhaltigkeit angelegt und wir erreichen damit tausende von Menschen. Das verhindert und mindert Leiden. Und sie spart mittel- bis langfristig hohe Kosten. Dies in einer einfachen und verständlichen Sprache zu kommunizieren, bleibt eine anspruchsvolle Daueraufgabe.
Was wünschst du uns?
Freude am Tun, Freude an der Arbeit und Zuversicht. Der Organisation als Ganzer wünsche ich, dass das Potential, das im gemeinsamen Tun liegt, gesehen und genutzt wird.
Welchen Geheimtipp würdest Du Deinem Nachfolger geben, wenn er sich einen wünschte?
Ich würde mich hüten ihm Ratschläge zu geben. Ich finde er hat alles, was es braucht, um meine Arbeit gut weiter zu führen.
Hast du eine Ahnung, was du am ersten Tag Deiner Pensionierung machst?
Keine Ahnung. Doch. Wenn es schönes Wetter ist, bin ich sicher im Garten.
Hast du eine Vorahnung in Bezug auf diese Zeit, die du uns verraten kannst?
Eine schwierige Frage. Es ist ein Schritt in unbekanntes Terrain. Ich fasse wieder die Lehrlingshosen. Sicher aber werde ich es erst mal geniessen, den Frühling zu erleben, die Vögel singen zu hören beim Spazieren. Vielleicht werde ich auch erst einmal viel schlafen.
Interview wurde geführt von Christina Messerli, Berner Gesundheit